Deutsche Reichsgründung

Unter dem Begriff "Deutsche Reichsgründung" werden die Vorgänge verstanden, die am 18. Januar 1871 zur Krönung des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reichs führten. Im November 1870 war der Beitritt der Königreiche Württemberg und Bayern sowie der Großherzogtümer Baden und Hessen zum Norddeutschen Bund vorhergegangen. Man hatte diese Staatengemeinschaft zunächst in Anlehnung an den früheren Deutschen Bund ebenso genannt, bis sie ab Januar 1871 das Deutsche Kaiserreich bildete, den ersten deutschen Nationalstaat.

Kaiserkrönung im Schloss Versailles
Die Krönung des deutschen Kaisers fand während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 bis 1871 im Spiegelsaal von Versailles statt. Das Datum des 18. Januars war bewusst gewählt und sollte an die Krönung des ersten preußischen König im Jahr 1701 erinnern. Der Deutsch-Französische Krieg hatte am 19. Juli 1870 mit der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen begonnen. Mit der Niederlage der französischen Truppen am 2. September 1870 bei der Schlacht von Sedan und der Gefangennahme des Kaisers Napoléon III. war es zu einer Vorentscheidung gekommen. Die Kaiserkrönung in Versailles war daher als symbolische Zeichen des deutschen Triumphes über Frankreich zu verstehen.

Otto von Bismarck als Wegführer zum Nationalstaat
Die Reichsgründung war ein komplizierter Vorgang, der aufgrund der diplomatischen Bestrebungen von Otto von Bismarck, dem späteren deutschen Reichskanzler, zum Erfolg führte:
1. Wegen der Gewährung von Sonderprivilegien konnten die Königreiche Württemberg und Bayern als Teile des deutschen Reichs gewonnen werden.
2. Bismarck provozierte Frankreich zur Kriegserklärung, indem er das Telegramm (Emser Depesche) eines französischen Botschafters, bei der es um die spanische Thronfolge durch einen Hohenzollern ging, geschickt umformulierte und der Presse übergab. Der Krieg mit Frankreich, das die mögliche Vereinigung der Mittelstaaten als Bedrohung ansah, schien für Bismarck unvermeidlich, um einen Nationalstaat gründen zu können.
3. 1848/1849 war die Vereinigung der Einzelstaaten durch Ablehnung der Kaiserkrone von Friedrich Wilhelm IV. gescheitert. Auf bestreben Bismarcks hin, nahm Wilhelm I. den von ihm ungeliebten Titel Deutscher Kaiser an.

Zugleich geschah die Reichsgründung als Lösung der "deutschen Frage", der Frage nach der deutschen Einheit, die das 19. Jahrhundert beherrschte. Das damalige Deutschland war ein Flickenteppich kleinerer Staaten, aus denen Preußen und Österreich als Großgebilde herausragten. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war seit 1806 aufgelöst. Dieses Reich hatte seit dem Mittelalter bestanden, war aber nie ein Nationalstaat im eigentlichen Sinne.

"Großdeutsche Lösung" vs. "Kleindeutsche Lösung"
Im Vormärz hatten sich die Bestrebungen der deutschen Nationalbewegung nach Einheit, Freiheit und Demokratie artikuliert. Sie führten 1848 zur Märzrevolution, die ein demokratisches Deutschland zum Ziel hatte und 1849 scheiterte. 1866 führte der "deutsche Dualismus" zwischen Preußen und Österreich zum Krieg zwischen beiden Ländern, der mit dem Sieg Preußens endete. Dadurch wurde die "großdeutsche" Lösung der deutschen Frage, eine Einheit zusammen mit Österreich, unmöglich. Es kam 1871 zur "kleindeutschen" Lösung ohne Österreich, aber unter der Dominanz von Preußen.

"Revolution von Oben"
Vor dem Hintergrund der Forderungen der Revolution von 1848/49 bezeichnete man die Reichsgründung auch als "Revolution von oben". Es kam zu einem Nationalstaat, aber nicht als Folge einer Demokratiebewegung, sondern als Vorgang zwischen Monarchien. Die Privilegien der Fürsten und des Adels blieben unangetastet. Demokratie und Freiheit blieben eingeschränkt. Jedoch wurde mit dem deutschen Reichstag, dem Nachfolger des Reichstages des Norddeutschen Bundes, ein deutsches Parlament mit allgemeinem, gleichem Männerwahlrecht geschaffen. Zusammen mit dem Bundesrat übte es die Gesetzgebung des Reiches aus und konnte über den Haushalt mitentscheiden. Die Reichsgründung hatte zu einer konstitutionellen, bundesstaatlichen Monarchie geführt.

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Infobox: Deutsche Reichsgründung

Deutsche Reichsgründung: Mit dem Beitritt der süddeutschen Staaten Baden, Bayern, Hessen und Württemberg zum Norddeutschen Bund wird am 21.01.1871 Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches gekrönt. Damit besteht erstmals in der Geschichte ein deutscher Nationalstaat.
Kaiserproklamation: nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges findet die Kaiserkrönung im Schloss Versailles statt. Eine bewusste Provokation gegen die unterlegenen Franzosen. Das Deutsche Reich unterstreicht damit nachhaltig seinen Machtanspruch in Mitteleuropa.
Deutsches Kaiserreich:: Rahmendaten zum Staatsgebiet (Hauptstadt: Berlin; Einwohner: ca. 40 Mio.;Fläche: 540.000 km²; Bundeskanzler: Otto von Bismarck).